Was ist eigentlich… der Sinkflug?

Mein Mann schläft ein, sobald sein Kopf das Kissen berührt. Zack – weg ist er. Für mich manchmal anstrengend, weil ich gern vorher noch ein paar Worte wechseln würde. Ich hingegen brauche länger: hinlegen, runterkommen, Schritt für Schritt zur Ruhe finden – bis ich irgendwann einschlafe. Er ist mehr der Hubschrauber, ich mache den klassischen Sinkflug.

Und genau darum geht’s heute: um diesen besonderen Weg in den Schlaf, den viele von euch bei euren Kindern beobachten können.

Der Begriff „Sinkflug“ stammt aus dem Artgerecht-Projekt. Ich habe ihn von Nicola Schmidt kennengelernt und finde das Bild so treffend, dass ich ihn auch in meinen Beratungen und Workshops verwende.

Einschlafen passiert nämlich (meist) nicht auf Knopfdruck. Unser Körper durchläuft verschiedene Schritte, in denen Hormone, Nerven und das Gehirn zusammenspielen. Bei Babys ist dieser Prozess oft besonders sichtbar – und manchmal dauert er länger, manchmal kürzer.


Die wichtigsten „Schlaf-Hormone“ – kurz erklärt

  • Adenosin: Sammelt sich im Laufe des Tages im Gehirn an. Je mehr Adenosin, desto größer der Schlafdruck. Kaffee blockiert übrigens die Adenosin-Wirkung – deshalb macht er wach.
  • Melatonin: Unser wichtigstes „Schlafhormon“. Es wird bei Dunkelheit in der Zirbeldrüse gebildet und signalisiert dem Körper: „Es ist Nacht.“
  • Serotonin: Vorstufe von Melatonin. Tagsüber wirkt es stimmungsaufhellend, nachts wird es in Schlafhormon umgewandelt.
  • Cortisol: Unser „Stresshormon“. Es hält uns tagsüber wach und aufmerksam. Zum Einschlafen muss es abfallen.
  • Oxytocin: Bekannt als „Kuschelhormon“. Es entsteht bei Nähe, Stillen, Tragen und beruhigt.
  • Prolaktin: Unterstützt die nächtliche Ruhe und Regeneration.
  • Noradrenalin/Dopamin: Aktivierende Botenstoffe. Wenn Adenosin ihre Ausschüttung blockiert, werden wir ruhiger und müde.

Der Sinkflug in fünf Schritten

1. Adenosin – „Bin ich müde?“

Über den Tag sammelt sich Adenosin an. Es blockiert aktivierende Botenstoffe wie Dopamin und Noradrenalin. Herzfrequenz und Blutdruck sinken. Kurz gesagt: Das Kind wird müde.

👉 Mehr dazu liest du auch in meinem FAQ-Artikel „Wie oft nachts wach ist eigentlich normal?“.


2. Hypothalamus – „Bin ich satt, warm und sicher?“ (Sicherheitscheck)

Der Hypothalamus ist ein Teil des Gehirns, der unsere Grundbedürfnisse checkt: Hunger, Temperatur, Sicherheit. Erst wenn diese Basis stimmt, gibt das Gehirn „grünes Licht“ fürs Einschlafen.

➡️ Manche Kinder machen diesen Sicherheitscheck alle 30 Minuten – nach ihnen kann man sprichwörtlich die Uhr stellen.

👉 Wenn dich das Thema Nähe und Sicherheit interessiert, lies gern meine Liebeserklärung an unser Familienbett oder schau in meine Übersicht über Familienbetten-Hersteller.


3. Suprachiasmatischer Kern – „Ist es Nacht?“

Das ist die innere Uhr im Gehirn. Über die Augen nimmt sie Licht wahr. Ist es hell, wird die Melatoninbildung gehemmt. Erst Dunkelheit oder zumindest gedämpftes Licht lassen die innere Uhr sagen: „Zeit fürs Bett.“

Deswegen kann es übrigens auch sein, dass der Tagschlaf besser funktioniert, wenn du zumindest etwas abdunkelst. Völlige Dunkelheit ist aber nicht nötig.


4. Hormonstatus – „Der richtige Cocktail“

Jetzt muss das Gleichgewicht stimmen:

  • Weniger Cortisol (Stresshormon), mehr Melatonin und Serotonin.
  • Oxytocin durch Nähe, Tragen oder Kuscheln.
  • Satt statt hungrig.

Dieser Mix bereitet Körper und Geist optimal auf den Schlaf vor.

👉 Wie du diesen Prozess liebevoll begleiten kannst, erfährst du in meinen Workshops zum Thema Babyschlaf oder auch in der Kleinkindschlaf-Beratung.


5. Vagusnerv – „Zur Ruhe kommen“

Der Vagusnerv ist der wichtigste Entspannungsnerv. Er verläuft bis in den Bereich hinter dem Gaumen. Entspannt wird er durch Wiege- und Schaukelbewegungen sowie durch Saugen. Auch getragen werden stimuliert ihn – Babys lernen Selbstberuhigung erst nach und nach.

⚠️ Achtung: Auch Federwiegen oder ähnliche Hilfsmittel stimulieren den Vagusnerv. Sie können in manchen Situationen hilfreich sein, sollten aber nur mit Bedacht und unter gewissen Rahmenbedingungen eingesetzt werden.


Was passiert danach?

Sind diese Schritte geschafft, fallen die Augen zu. Zuerst folgt eine Phase leichten Schlafs, die ungefähr 20 Minuten dauert. Erst danach beginnt eine stabile Schlafphase. Dass Kinder in den ersten 20 Minuten manchmal wieder aufwachen, ist völlig normal.


Warum der Sinkflug wichtig ist

Der Sinkflug ist nichts anderes als der Weg des Körpers in den Schlaf. Er macht deutlich, dass Einschlafen Zeit braucht – es ist ein Prozess, kein Schalter. Das zu verstehen, nimmt vielen Eltern den Druck.

Und wichtig:

  • Nicht alle Kinder brauchen einen Sinkflug, der drei Stunden dauert. Bei manchen beginnt er schon am Nachmittag – das heißt nicht, dass sie dann sofort ins Bett gehören. Sie werden einfach ruhiger.
  • Andere Kinder starten ihren Sinkflug erst kurz vor dem Zubettgehen und schlafen dann recht zügig ein.
  • Wie lang der Sinkflug dauert, hängt stark vom Temperament und vom individuellen Kind ab.

👉 Wenn du diesen Prozess tiefer verstehen und liebevoll begleiten möchtest, empfehle ich dir meine Sleep Talk Familienreise – Vertrauen im Schlaf oder eine individuelle Einzelberatung. Lies gern hier nach, wie eine Schlafberatung abläuft.


Fazit

Der Sinkflug ist ein schönes Bild für etwas sehr Reales: Unser Körper muss in mehreren Schritten „herunterfahren“, bevor er wirklich schlafen kann. Hormone, Nerven und Sicherheitssignale arbeiten Hand in Hand. Wenn Eltern das wissen, verstehen sie besser, warum Einschlafen manchmal länger dauert – und warum es ganz individuell ist, wie schnell ein Kind „unten“ ankommt.


Quellen

  • Arendt, J. (2006). Melatonin and human rhythms. Sleep Medicine Reviews, 10(1), 25–39.
  • Porkka-Heiskanen, T., et al. (1997). Adenosine: A mediator of the sleep-inducing effects of prolonged wakefulness. Sleep, 20(10), 843–849.
  • Reppert, S. M., & Weaver, D. R. (2002). Coordination of circadian timing in mammals. Nature, 418(6901), 935–941.
  • Saper, C. B., Scammell, T. E., & Lu, J. (2005). Hypothalamic regulation of sleep and circadian rhythms. Nature, 437(7063), 1257–1263.
  • Porges, S. W. (2007). The polyvagal perspective. Developmental Psychobiology, 49(8), 871–890.
  • Uvnäs-Moberg, K., et al. (2005). Oxytocin: Antistress pattern and implications for health. Hormones and Behavior, 48(5), 692–699.
  • Schmidt, N. (2015). Artgerecht – Das andere Babybuch. Kösel-Verlag.
  • Schmidt, N. (2018). Artgerecht – Das andere Kleinkindbuch. Kösel-Verlag.

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