Anspannung & Entspannung: So lernt dein Kind, Wut abzubauen

Blogserie: Aggression bei Kindern begleiten – Teil 2 von 3

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Dieser Artikel ist Teil 2 meiner Blogserie rund um Aggression bei Kindern. Wenn du zuerst verstehen möchtest, warum Reden im Wutanfall meistens nicht hilft, dann lies gern hier Teil 1 der Serie. 👉 Warum erklären nichts bringt – und was du stattdessen tun kannst.

Anspannung & Entspannung, Körperwahrnehmung bei Wut

Wenn Kinder wütend werden, haut, beißt oder schreit der Körper oft viel schneller, als der Kopf denken kann. Und ehrlich gesagt: Ganz oft hilft Reden da einfach überhaupt nicht. Der Körper ist schneller, lauter und intensiver – und genau deshalb brauchen Kinder manchmal etwas anderes. Nämlich eine körperliche Erfahrung, die ihnen zeigt, wie sie von „voller Spannung“ wieder zurück in die Entspannung kommen.

Gerade wenn Kinder übermüdet oder reizüberflutet sind, kippt die Stimmung besonders schnell – dazu passt auch mein Artikel über Schlafphasen, den du hier nachlesen kannst: Schlafphasen im Überblick.

Eine meiner wirksamsten und zugleich einfachsten Übungen dafür ist die Übung „Wie stark bin ich?“. Viele Eltern lieben sie, weil sie super schnell geht und total spielerisch ist – und weil Kinder sie so oft sofort annehmen.

Wenn du mehr über emotionale Regulation im Alltag (auch nachts) erfahren willst, findest du hier mein Sleep Talk Programm „Vertrauen im Schlaf“.


Die Übung: „Wie stark bin ich?“

Damit Kinder lernen können, was im Körper bei Wut passiert und wie sie wieder runterkommen, brauchen sie eine Erfahrung, die wirklich spürbar ist. Nicht theoretisch, nicht erklärend – sondern richtig körperlich. Und dafür eignet sich diese Übung erstaunlich gut.

Ganz wichtig:
Übt sie immer in ruhigen Situationen. Nur dann speichert das Nervensystem ab: „Ah, das hilft mir.“
Wenn man es zum ersten Mal im Wutanfall versucht, kann dein Kind sie nicht abrufen. Das steigert dann eher die Wut, als dass es helfen kann.

Warum Erklären im Wutanfall nicht funktioniert, habe ich in Teil 1 der Serie genauer erklärt: Warum Erklären im Wutanfall nichts bringt.


So geht’s Schritt für Schritt

1. Startet bewusst in einem entspannten Moment.
Es muss nichts Großes sein – einfach ein Moment, in dem gerade niemand gestresst ist.

2. Frag dein Kind:

„Wie stark bist du eigentlich?“

Fast alle Kinder zeigen dann intuitiv ihre Muskeln, spannen die Arme an oder machen den ganzen Körper fest.

3. Verstärke die Wahrnehmung – ganz spielerisch:

„Wow! So stark bist du schon! Das ist ja richtig anstrengend, oder?“

Kinder lieben dieses Staunen.

4. Dann kommt der wichtigste Schritt:

„Und jetzt lassen wir den ganzen Körper wieder locker… puh!“

Das Kind lässt los. Viele seufzen dabei tief oder lachen. Beides ist gut – der Körper fährt runter.

5. Wiederholt es ruhig zwei- bis dreimal.
Vielleicht wollt ihr es gleich „der Oma“ oder „dem Papa“ zeigen.
Das verankert die Übung noch stärker.


Warum hilft diese Übung so gut?

Weil sie das trainiert, was im Wutanfall fehlt:
➡️ Das Bewusstsein dafür, dass man zwischen Anspannung und Entspannung wechseln kann.

Kinder spüren:

  • Wie fühlt sich Kraft an?
  • Wie fühlt sich Loslassen an?
  • Wie komme ich wieder runter, wenn mein Körper so hochfährt?

Das ist die Grundlage von Regulation – und die muss der Körper lernen, nicht der Kopf.


Wie oft sollte man das üben?

Bitte nicht als tägliches Ritual, das Druck aufbaut.
Mach es einfach dann, wenn es gut passt – wirklich locker, ohne Muss.

Wenn ihr es so zwei bis drei Wochen lang immer wieder in ruhigen Momenten gemacht habt, merkt der Körper:
„Ah, das kenne ich.“

Oft sagen die Kinder dann von sich aus: „Mama, ich zeig dir wie stark ich bin“. Und erst dann kann man beginnen, diese Übung auch im Wutanfall langsam anzuwenden.


Wie setzt man die Übung in einer Wutsituation ein?

Wenn du merkst, dass dein Kind in den Wutanfall abrutscht, versuch die Übung abzurufen und sag (zum Beispiel):

„Kannst du mir mal wieder zeigen, wie stark du bist? Ich glaub dein Körper ist grade so angespannt.“

Nicht jedes Kind steigt sofort ein. Manche brauchen mehrere Versuche, manche mehr Nähe, manche etwas Bewegung. Alles ist okay.

Wichtig ist nur: Du gibst deinem Kind einen körperlichen Weg, aus der Überforderung wieder herauszufinden – und das ist oft viel hilfreicher als Worte. Und dieser körperliche Weg beinhaltet Anstrengung, die nichts mit Hauen, Beißen oder Kratzen zu tun hat. Durch die Entspannung danach, wird der Druck trotzdem abgebaut.


Varianten für unterschiedliche Kinder

Hier schreibt: Bettina Dutzler, Expertin für Baby- und Kleinkindzeit

Für sehr aktive Kinder:
stampfen → anspannen → loslassen → einmal hüpfen → tief ausatmen

Für sensible Kinder:
Hände sanft anspannen, dann ganz weich loslassen → gemeinsam langsam ausatmen

Für ältere Kinder:
„Zeig mir drei starke Muskeln – und dann lassen wir alle wieder locker.“

Du darfst alles anpassen. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“ – es gibt nur das, was deinem Kind gut tut.

Wie wichtig körperliche Nähe für Regulation ist, zeige ich auch in meiner Liebeserklärung ans Familienbett.


Warum diese Übung Eltern entlastet

Weil du plötzlich etwas in der Hand hast, das ohne Worte funktioniert.

Du musst:

❌ nicht erklären
❌ nicht diskutieren
❌ nicht „konsequent“ sein
❌ und schon gar nicht perfekt reagieren

Du gibst deinem Kind eine körperliche Orientierung – und die ist in Wutmomenten viel wirksamer als jede logische Erklärung.

Wenn ihr das regelmäßig macht, lernt dein Kind, dass es die Anspannung (oder Wut) auch rauslassen kann, ohne jemanden dabei zu verletzen. So hast du ihm sanft Körpergrenzen beigebracht und seine Körperwahrnehmung geschult.


Ausblick: Teil 3 der Serie

„Was Kinder wirklich brauchen, um herunterzukommen – und warum nicht jedes Kind gleich reagiert“

Dort geht es darum, dass Regulation bei Kindern unterschiedlich funktioniert – und warum manche Kinder eher Bewegung brauchen, andere Nähe und wieder andere eher Rückzug.

Du willst herausfinden, welche Strategie für DEIN Kind wirklich funktioniert – und zwar ohne Druck, aber mit Klarheit? Schreib mir gern eine Nachricht. Wir schauen uns das gemeinsam an. Online oder in meinem Praxisraum in 4655 Vorchdorf 💜


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